Frankfurt am Main, November 2025 – Blutzuckersenkende Medikamente zeigen neben ihrer glykämischen Wirkung weitere positive Effekte, die bereits für Herz-Kreislauf- und chronische Nierenerkrankungen therapeutisch genutzt werden. Zu diesen Blutzuckersenkern zählt auch die Wirkstoffklasse der sogenannten SGLT2-Hemmer. Mehrere groß angelegte Kohortenstudien aus der Real-World-Epidemiologie von IQVIA Deutschland haben sich nun dieser Substanzklasse gewidmet. Die Ergebnisse zeigen viel Potenzial – etwa für die optimierte Diabetestherapie – aber auch für das bessere Verständnis der individuellen Ätiologie von demenziellen oder kardiologischen Erkrankungen.
SGLT2-Hemmer wurden erstmals 2012 zugelassen. Ihre Entwicklung basiert in der Diabetes-Typ-2 Behandlung, da sie ein spezifisches Transportprotein der Nierenrinde blockieren und so die Ausscheidung von Glukose über den Urin fördern – der Blutzuckerspiegel sinkt. Über diese glykämische Kontrolle hinaus zeigen die SGLT2-Inhibitoren positive Effekte auf die Herz-, Nieren und auch Nervenfunktionen. Diese beruhen auf einem komplexen Zusammenspiel aus metabolischen, hämodynamischen und zellulären Prozessen, die bislang noch nicht vollständig aufgeklärt sind, aber gerade im Hinblick auf die steigenden Inzidenzen großer Volkskrankheiten könnten sich neue Therapie- und Handlungsoptionen eröffnen, wie IQVIAs epidemiologische Forschung von Prof. Dr. Karel Kostev und akademischen Kooperationspartnern in drei Real-World-Studien demonstriert.
Die Studien sind retrospektive Kohortenanalysen auf Basis des IQVIA Disease Analyzer®, einer fallbasierten Informationsquelle aus über 3000 Haus- und Facharztpraxen in Deutschland.
Die erste Studie mit 38.000 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten in einem Nachbeobachtungszeitraum von fünf Jahren zeigt, dass die Therapie mit SGLT2-Inhibitoren bei älteren Menschen mit Typ-2-Diabetes mit einem signifikant geringeren Risiko für die Entwicklung einer Demenz einhergeht. Sie wurde in der Fachzeitschrift Diabetes Research and Clinical Practice veröffentlicht und vergleicht die Wirkung von SGLT2-Inhibitoren mit DPP-Inhibitoren bei Patienten ab 60 Jahren, die zusätzlich zu Metformin entweder mit SGLT2-Hemmern oder DPP-4 Hemmern behandelt wurden.
Die Analyse ergab, dass die SGLT2-Therapie mit einer 20 % niedrigeren Inzidenz von Demenz assoziiert war (HR: 0,80; p = 0,002). Besonders ausgeprägt war der Effekt bei Männern sowie Patientinnen und Patienten über 80 Jahren. „Unsere Ergebnisse liefern starke Hinweise auf einen potenziellen neuroprotektiven Effekt von SGLT2-Inhibitoren, der über die reine Blutzuckerkontrolle hinausgeht“, erklärt Prof. Kostev.

Abb.: Anteil der in die Studie eingeschlossenen Patienten mit SGLT2i-Gabe oder DPP-4-Gabe, die nach spätestens fünf Jahren eine Demenz Diagnose bekommen haben. Quelle: IQVIA Disease Analyzer®
Er und seine Mitautoren aus dem Universitätsklinikum Essen fordern nun weitere randomisierte Studien, um die kausalen Zusammenhänge von SGLT2 und neurodegenerativen Erkrankungen zu bestätigen sowie die Mechanismen hinter den beobachteten Effekten weiter zu erforschen.
Die zweite Studie wurde von der Forschungsgruppe um Prof. Kostev in Kooperation mit Prof. Dr. Mark Lüdde und Kollegen aus der medizinischen Klinik für Kardiologie and Angiologie des Uniklinikums Gießen durchgeführt. Die retrospektive Fall-Kontroll-Studie zeigte anhand einer Population von 58.000 Patienten aus der Disease Analyzer® Datenbank von IQVIA, dass der Einsatz von SGLT2-Hemmern mit einem geringerem Risiko für Vorhofflimmern bei Typ-2-Diabetikern assoziiert ist. Die Studie wurde im Fachjournal Diabetes, Obesity and Metabolism veröffentlicht und verglich 29.424 Typ-2-Diabetiker mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern mit einer gleich großen Kontrollgruppe ohne solche Diagnose.
Die Auswertung zeigte, dass die Gabe von SGLT2-Hemmern mit einer 18 % geringeren Wahrscheinlichkeit für Vorhofflimmern assoziiert war (OR: 0,82; 95%-KI: 0,80-0,84). Die Einnahme von Sulfonylharnstoffen hingegen, war mit einem leicht erhöhten Risiko für Vorhofflimmern assoziiert (OR: 1,09; 95%-KI: 1,08–1,10).
Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen weltweit und tritt bei Typ-2-Diabetikern überdurchschnittlich häufig auf. „Unsere Studienergebnisse zeigen, dass moderne Antidiabetika nicht nur den Blutzucker positiv beeinflussen, sondern auch kardioprotektive Wirkung zeigen und bestimmte Patientengruppen potenziell vor Vorhofflimmern schützen können“, erklärt Prof. Kostev. „Vor dem Hintergrund steigender Diabetes- aber auch Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen weltweit und tritt bei Typ-2-Diabetikern überdurchschnittlich häufig auf. „Unsere Studienergebnisse zeigen, dass moderne Antidiabetika nicht nur den Blutzucker positiv beeinflussen, sondern auch kardioprotektive Wirkung zeigen und bestimmte Patientengruppen potenziell vor Vorhofflimmern schützen können“, erklärt Prof. Kostev. „Vor dem Hintergrund steigender Diabetes- aber auch Herzpatienten ergeben sich durch die kardiometabolischen Effekte von SGLT2-Inhibitoren womöglich neue therapeutische Ansätze“, so der Studienautor.
Eine weitere und häufig auftretende Komorbidität bei Diabetes-2 ist Eisenmangel, der zu Müdigkeit, kardiovaskulären Risiken und Fortschreiten diabetischer Komplikationen führt. Dennoch bleibt der Eisenmangel bei vielen Patienten häufig unterdiagnostiziert.
In der dritten vorliegende Studie untersuchte die Forschungsgruppe um Kostev in Kooperation mit Dr. Theresia Sarabhai von der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel / Universitätsmedizin Essen 56.000 Patienten, die zwischen den Jahren 2012 und 2022 Kombinationstherapien von Metformin und entweder einem SGLT2-Inhibitor oder einem DPP-4-Hemmer bekamen. Die Retrospektivstudie erschien ebenfalls im Fachjournal Diabetes, Obesity and Metabolism und befasste sich mit dem Auftreten des Eisenmangels.
Die 5-Jahresinzidenz der Anämie lag bei 6,9 % in der SGLT2-Gruppe und bei 11,3 % in der DPP-4-Gruppe. Die Anwendung von SGLT2 war mit einem 33 % geringeren Risiko für Anämie assoziiert (HR: 0,67; 95 %-KI: 0,58-0,78). Dieser Effekt war bei Männern und Patienten > 60 Jahre deutlicher ausgeprägt sowie bei Patienten, die noch nicht lange mit Metformin therapiert wurden (< 3 Jahre).
Dr. Sarabhei: „Unsere Forschungsergebnisse deuten auf einen hämatologischen Zusatznutzen hin, der über die bekannten kardiometabolischen Effekte von SGLT2-Inhibitoren hinausgeht. Auch dies könnte neue Perspektiven für individuellere und gezieltere Therapien von Menschen mit Typ-2-Diabetes eröffnen.“

Abb.: Nach spätestens 5 Jahren konnte bei über 11 % der Diabetespatienten unter Metf + DPP-4-Gabe ein Eisenmangel festgestellt werden, bei Metf + SGLT2i sind es 7 %.Quelle: IQVIA Disease Analyzer®
Angesichts der Tatsache, dass Diabetes-Typ-2 ebenso wie Demenz und auch Herzrhythmusstörungen bislang nicht heilbar sind und im Zuge des demografischen Wandels wohl weiter in der Fallzahl steigen werden, sind neue pharmakologische Strategien dringend erforderlich. Ziel muss sein, die Risikofaktoren dieser drei Volkskrankheiten, aber auch die ihrer zahlreichen Begleit- und Folgeerkankungen besser zu adressieren, um die Krankenlast und das Hospitalisationsrisiko nachhaltig zu senken, resümmieren die Forscher.